DAS PFLEGEVERMÄCHTNIS – EIN WEITER BEGRIFF

Ein naher Angehöriger, der den Verstorbenen in den letzten drei Jahren vor seinem Tod in nicht bloß geringfügigem Ausmaß pflegte, hat unter Umständen gegen die Verlassenschaft bzw. gegen die (Mit)Erben Anspruch auf ein Pflegevermächtnis. Dabei handelt es sich um einen Geldanspruch. Der Oberste Gerichtshof hatte sich kürzlich wieder einmal mit der Frage zu befassen, welche Leistungen unter den Begriff „Pflege“ fallen können.

Das Gesetz (§ 677 ABGB) definiert den Begriff „Pflege“ als „jede Tätigkeit, die dazu dient, einer pflegebedürftigen Person soweit wie möglich die notwendige Betreuung und Hilfe zu sichern sowie die Möglichkeit zu verbessern, ein selbstbestimmtes, bedürfnisorientiertes Leben zu führen“. Dieser Begriff ist durchaus auslegungsbedürftig und lässt Spielraum für Interpretation.

Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrmals klargestellt, dass der Begriff „Pflege“ weit gefasst ist und „alle (nicht medizinischen) objektiv erforderlichen Unterstützungsleistungen“ erfasst. Dabei muss es sich aber um solche Unterstützungsleistungen handelt, zu deren „alleiniger Ausübung [der Erblasser] aufgrund seiner Pflegebedürftigkeit“ nicht mehr im Stande war (zuletzt OGH, 29.04.2025, 2 Ob 33/25d).

Der soeben zitierten OGH-Entscheidung lag der Sachverhalt zugrunde, dass die Erblasserin von 2015 bis zu ihrem Tod 2021 in einem Pflegeheim betreut wurde. Die Tochter der Erblasserin führte mit ihr täglich längere Telefonate, wobei sie ihrer Mutter stets gut zureden musste, weil diese sich in einer schwierigen psychischen Situation befand. Einmal im Monat besuchte sie ihre Mutter im Pflegeheim. Die Tochter war Ansprechperson für das Pflegepersonal, sie traf sämtliche medizinische Entscheidungen und führte allerhand organisatorische Tätigkeiten für ihre Mutter durch.

Der OGH sprach schon mehrmals aus, dass in Zeiten von „Fremdpflege“ – wenn der Erblasser also im Spital, im Pflegeheim oder von einer 24h-Heimpflege betreut wird – für ein
Pflegevermächtnis regelmäßig kein Platz mehr verbleibt
, sofern nicht über die „Fremdpflege“ hinausgehend Unterstützungsleistungen erbracht werden. Auch hier muss es sich aber um solche Unterstützungsleistungen handelt, zu deren „alleiniger Ausübung [der Erblasser] aufgrund seiner Pflegebedürftigkeit“ nicht mehr im Stande ist und welche auch nicht von der „Fremdpflege“ umfasst sind (OGH, 24.06.2021, 2 Ob 54/21m).

Im gegenständlichen Fall stellte der OGH klar, dass bloße Besuche nicht vom Begriff „Pflege“ umfasst sind. Sparziergänge oder Vorlesetätigkeiten können nur dann eine Pflegeleistung darstellen, wenn der Gepflegte dazu aufgrund seiner Pflegebedürftigkeit nicht mehr selbstständig in der Lage ist. Daher kann beispielsweise das Spazieren gehen mit jemanden, der auf einen Rollstuhl angewiesen ist, unter den Begriff „Pflege“ fallen.

Im Sinne der OGH-Rechtsprechung können auch Organisationstätigkeiten unter den Begriff „Pflege“ fallen, wenn der Gepflegte hierzu nicht mehr selbstständig in der Lage ist und diese Organisationstätigkeiten dazu dienen, dem Erblasser ein verbessertes Leben zu ermöglichen.

Generell gilt aber, dass die Pflegeleistungen das von der Judikatur geforderte Ausmaß von mehr als 20 Stunden im Monat erreichen müssen. Pflegeleistungen, die dieses Ausmaß nicht erreichen, können daher auch kein Pflegevermächtnis begründen.

 

 

Dieser Blogbeitrag bietet einen kompakten Überblick über die Thematik des Pflegevermächtnisses. Dabei handelt es sich um ein besonders umfangreiches Thema mit zahlreichen Beispielen aus der (oberstgerichtlichen) Rechtsprechung, weshalb eine umfangreiche Auseinandersetzung mit allen Einzelheiten im Rahmen dieses Blogs nicht möglich ist.

 

Dieser Blogbeitrag ersetzt keine individuelle Rechtsberatung.

 

Wenn Sie Fragen zu diesem Thema haben, kontaktieren Sie uns gerne unter office@drlachinger.at oder unter Tel. 02262 61938.

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