Unter dem Begriff des Schockschadens wird eine psychische Beeinträchtigung von Krankheitswert verstanden, welche dadurch eintritt, dass ein naher Angehöriger schwer verletzt oder getötet wird oder man ein traumatisierendes Unfallgeschehen unmittelbar miterlebt. Zuletzt hatte der Oberste Gerichtshof zu beurteilen, ob auch den Bewohnern eines Hauses ein Schockschadenersatz zusteht, weil ein Kleinflugzeug in deren Haus gestürzt war.

Grundsätzlich gilt im Schadenersatzrecht, dass nur der unmittelbar Geschädigte Anspruch auf Schadenersatz hat. Drittgeschädigte können in Ausnahmefällen auch Anspruch auf Schadenersatz haben, wobei die Rechtsprechung hier tendenziell streng ist, um ein uferloses Ausweiten von Schadenersatzansprüchen zu vermeiden.

Wird ein naher Angehöriger (Elternteil, Kind, Ehegatte, Lebensgefährte, unter Umständen auch Geschwister) besonders schwer verletzt oder gar getötet (bspw. bei einem bloß fahrlässig oder gar schuldlos verursachten Verkehrsunfall), anerkennt der Oberste Gerichtshof, dass man dadurch psychische Beeinträchtigungen von Krankheitswert erleiden kann (bspw. eine posttraumatische Belastungsstörung) und spricht daher regelmäßig einen Schockschadenersatzanspruch zu. Dabei ist auch nicht entscheidend, ob man das Unfallgeschehen miterlebt hat oder darüber nur informiert wurde.

Können auch (beste) Freunde „nahe Angehörige“ sein?

Im Sommer 2021 stand eine Gruppe von Motorradfahrern auf einer Parkfläche neben einer Bundesstraße. Darunter waren auch zwei Männer, die eine „beispiellose, äußerst innige und enge“ (beste) Freundschaft verband. Ein PKW-Lenker geriet von der Bundesstraße ab und krachte in die Gruppe der Motorradfahrer, wobei unter anderem der beste Freund des Klägers noch an der Unfallstelle verstarb. Der Kläger beobachtete den Unfall aus einer Entfernung von etwa 50 Metern und leistete seinem besten Freund sofort erste Hilfe.

Der Oberste Gerichtshof entschied, dass die „beispiellose, äußerst innige und enge“ (beste) Freundschaft zwischen dem Kläger und dem Getöteten die Gleichstellung dieser Freundschaftsbeziehung mit der Beziehung zwischen „nahen Angehörigen“ nicht rechtfertigt, weil die Rechtsordnung „rein freundschaftliche“ Beziehungen „nicht in besonderer Weise anerkennt“. Diese Auffassung ist aus meiner Sicht zu kritisieren, weil eine Eltern-Kind-Beziehung nicht per se besonders innig sein muss, aber „rein freundschaftliche“ Beziehungen besonders innig sein können. Meines Erachtens wäre hier richtigerweise auf die Intensität der Beziehung im konkreten Einzelfall abzustellen.

Dennoch bejahte der Oberste Gerichtshof in diesem Fall einen Schockschadenersatzanspruch des Klägers, weil er das traumatisierende Unfallgeschehen unmittelbar miterlebte. Immerhin musste der Kläger „das Herumfliegen der Körper durch die Luft“ mitansehen und leistete er seinem besten Freund sofort erste Hilfe. Bei unmittelbarer Unfallbeteiligung besteht die
Haftung selbst dann, wenn der Verletzte oder Getötete ein Fremder ist
(OGH 2Ob208/23m).

Schockschaden bei Tötung des Haustieres?

Im Fall der (fahrlässigen) Tötung von Haustieren lehnt der Oberste Gerichtshof einen Schockschadenersatzanspruch ab, weil er in der Mensch-Haustier-Beziehung grundsätzlich keine Eignung sieht, einen Schockschaden hervorzurufen. Wenn dennoch ein medizinisch objektivierter Schockschaden eintritt, fällt das wohl in das allgemeine Lebensrisiko (OGH 10Ob3/20v).

Gerichte erster und zweiter Instanz haben in Ausnahmefällen jedoch einen Schockschadenersatz für die Tötung von Haustieren zugesprochen. So hat beispielsweise das Bezirksgericht Liesing einer Hundehalterin einen Schockschadenersatz zugesprochen, die mitansehen musste, wie ihr Hund mit zwei Messerstichen getötet wurde. Aus meiner Sicht ist der Zuspruch im Fall von grobem Verschulden (wie vorsätzlicher Tötung des Haustieres) durchaus gerechtfertigt.

Flugzeug kracht in Wohnhaus: Schockschaden der Bewohner?

Im Sommer 2022 stürzte ein Kleinflugzeug in ein Einfamilienhaus. Die Bewohner waren im Unfallzeitpunkt nicht zuhause, eilten aber unmittelbar zum Unfallort und mussten ihr zerstörtes Eigenheim vorfinden und die Bergung der schwerstverletzten Flugzeuginsassen mitansehen. Dies führte zu einer medizinisch objektivierten posttraumatischen Belastungsstörung der Bewohner.

Während das Erstgericht (Bezirksgericht Reutte) den Schockschadenersatz zuerkannte, verneinte das Berufungsgericht (Landesgericht Innsbruck) diesen mit der Begründung, dass die „massive Beschädigung ihres Hauses […] wertungsmäßig mit der Tötung oder schwersten Verletzung eines nahen Angehörigen nicht vergleichbar“ sei. Der Oberste Gerichtshof bestätigte diese Entscheidung des Landesgerichtes Innsbruck.

Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs war hier auch keine haftungsbegründende unmittelbare Unfallbeteiligung gegeben, weil die Bewohner im Unfallzeitpunkt gar nicht zuhause waren und bei ihrem Eintreffen am Unfallort die Rettungsaktion bereits im Gang war. Die Bewohner mussten den schwerstverletzten Unfallinsassen somit keine erste Hilfe leisten (OGH 2Ob12/25s).

Aus meiner Sicht hätte der Schockschadenersatz dann zugesprochen werden können, wenn die Bewohner den Absturz unmittelbar miterlebt und den schwerstverletzten Insassen erste Hilfe leisten hätten müssen.

Exkurs: Trauerschmerzengeld

Darunter versteht man ein Schmerzengeld für bloße Trauer, welche keinen medizinisch objektivierten Krankheitswert erreicht. Dieser Trauerschmerzengeldanspruch setzt im Unterschied zum Schockschadenersatzanspruch voraus, dass ein naher Angehöriger durch grobes Verschulden getötet wurde.

 

 

 

Dieser Blogbeitrag bietet einen kompakten Überblick über die Thematik des Schockschadens. Dabei handelt es sich um ein besonders umfangreiches Thema mit zahlreichen Beispielen aus der (oberstgerichtlichen) Rechtsprechung, weshalb eine umfangreiche Auseinandersetzung mit allen Einzelheiten im Rahmen dieses Blogs nicht möglich ist.

 

Dieser Blogbeitrag ersetzt keine individuelle Rechtsberatung.

 

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